Wissen

Hier wird viel Wissenswertes über das Alphorn dargestellt.

Inhaltsverzeichnis
(alphabetisch)

Alphorn – Einführung und Faszination
Alphorn-Fa
Bemalung
Formen
Klang
Komponisten
Länge des Alphorns
Naturtonreihe – Tonumfang – Die 12 Töne des Alphorns
Schofar (Shofar)
Swiss Lady

Alphorn – Einführung und Faszination

Weshalb habe ich in jungen Jahren begonnen Alphorn zu spielen? Diese Frage stelle ich mir immer wieder und stets komme ich auf die gleiche Antwort:  Im Klang steckt eine Magie, die mich gefangen hält.

Das Alphorn gehört wie der Schweizer Käse, die Schweizer Uhr, die Schweizer Schokolade oder das Matterhorn zur Schweiz. Der magische, faszinierende Klang und die eindrückliche Grösse prägen im Volksmund das Musikinstrument. In Wahrheit steckt viel mehr in dieser Musik. Das Alphorn ist eine Bereicherung und ein fester Bestandteil in der Musikwelt. Das Alphorn hat sich in der Schweiz mehr als nur als folkloristisches Werbemittel für den Tourismus durchgesetzt. Das Alphorn ist in der Schweiz salonfähig geworden. Nicht zuletzt ist das Alphorn aber auch zu einer musikalischen Herausforderung für viele Musiker geworden.

Das Alphorn ist ein Naturinstrument und geniesst deshalb alle musikalischen Freiheiten. Jede musikalische Einschränkung ist ein Widerspruch zum intuitiven Musizieren. Vom lauschigen Alpsegen bis zum rockigen Sound darf alles erlaubt sein. Dem einen Bläser gefällt das traditionelle, freie Interpretieren und Modellieren von ausdruckskräftigen Tonfolgen (Phrasen) und dem anderen Bläser gefällt die anspruchsvolle Einbindung im symphonischen Orchesterspiel. Das Alphorn darf und soll eine Auseinandersetzung mit Emotionen sein, d.h. wir Menschen nehmen die Emotionen unterschiedlich war.

Im traditionellen Alphornspiel ist die ausdrucksstarke Agogik zwingend. Die sture Metrik darf niemals über Phrasen hinaus geführt werden. Als Modell ist mir immer das Beten in den Kirchen in den Sinn gekommen. Die Gebete (und selbstverständlich viele Texte) sind so aufgebaut, dass sie in rhythmischen Phrasen gegliedert sind. Nach jeder Phrase wird „Luft geholt“. Es wird „gemütlich“ Luft eingeatmet, was im Musikablauf zu einer „Kunstpause“ führt, und dann steigt man mit gefüllter Lunge die nächste Phrase. Die Phrasierung in den traditionellen Alphornkompositionen ist ein wichtiges Merkmal. Bei den rockigen und Jazz-förmigen Alphornstücken wird diese Form durchbrochen. Die Metrik wird wie in der klassischen Musik oder Programmmusik stur eingehalten.

Alphorn-Fa

Das Alphorn ist in seinem Klang ein reines Naturinstrument. In dieser Eigenschaft kommen die Naturtöne in wunderbarer Form zur Geltung. Der ganz besondere Ton ist das Alphorn-Fa. Es handelt sich um den 11. Ton in der Naturtonreihe (s. unten). Der Ausdruck „Fa“ kommt aus der Sprachtonleiter Do – Re – Mi – Fa – So – La – Si – Do. Es betrifft also den 4. Ton. Der 4. Ton in der C-Dur-Tonleiter ist das F. Auf dem Alphorn kann das F aber nicht gespielt werden. Will man den Ton zwischen E (Terz) und G (Quinte) spielen, so ertönt ein „Zwischenton“, der exakt zwischen E und G liegt. Dieser Zwischenton bezeichnet man auf dem Alphorn „Fa“. Grenzt man die Mitte zwischen E und G genauer ein, so kann man feststellen, dass das Alphorn-Fa zwischen dem F (Quarte) und dem Fis (Tritonus) liegt. Mit anderen Worten: Das Alphorn-Fa ist weder ein F noch ein Fis.

Das Alphorn-Fa hat einen besonderen Reiz. In der Vergangenheit wurde das Alphorn-Fa vom Schweizerischen Jodlerverband lange geächtet, zumindest „als unerwünschter Ton“ (sonus non gratus) bezeichnet. An den Wettspielen in der Schweiz für Alphorn wurde das Alphorn-Fa konsequent missbilligt. Alfred Leonz Gassmann (s. unten) setzte in seinen Kompositionen sowohl das Alphorn-Fa als auch das B ein. Damit verpasste er den Alphornweisen eine neue Ausdruckskraft, die in geeigneter Form einen besonderen Reiz auslöst. Heute gibt es bald kaum noch Kompositionen, die nicht das Alphorn-Fa einbeziehen.

Wer in der Blasmusik die Grundausbildung erlebt hat, tut sich mit dem ungewöhnlichen Alphorn-Fa schwer. Der Grund liegt darin, dass dieses Alphorn-Fa aus der diatonischen Ton „fällt“. Es lohnt sich mal ein Versuch über längere Zeit zu machen: Spiele über längere Zeit nicht auf dem Alphorn, sondern „nur“ auf der Trompete, dem Flügelhorn oder der Posaune. Wechsle dann zum Alphorn und spiele die Naturtonleiter. Du wirst feststellen, dass Du Dich enorm schwer tust, bist Du Dich mit den Lippen und mit dem Gehör wieder an das wohlklingende Alphorn-Fa gewöhnt hast. Viele Zuhörer – insbesondere aus den Blasmusikkreisen – meinen gar, dass der Alphornbläser einen falschen Ton spielen würde. Wer Alphornbläserin oder Alphornbläser ist, weiss bald, welche Ausdruckskraft in diesem Alphorn-Fa steckt. Im Wortschatz der Alphornisten spricht man bewusst vom „Alphorn-Fa“. Sie haben sich diesen Naturton beinahe zu eigen gemacht.

Bemalung

Das obige Alphorn habe ich von Ernst Nussbaum, Gwatt, im Jahre 1986 erworben. Das Ornament ist heute noch in schönster Qualität erhalten. Die Bemalung ist hier einzigartig gelungen. Die Farben des Blumenstrausses fliessen sanft in die Masurierung und Holzfarben des Bechers hinein. Die meisten Alphörner sind bemalt. Das häufigste Sujet sind Alpenblumen. Und oft gehört das Schweizerkreuz dazu. Viele Alphornbläser wünschen sich als Ornament auch persönliche Sujets, wie zum Beispiel ihr Tierzeichen oder ihren Hausberg. Doch es gibt viele Alphörner, die keine Bemalung tragen. Selten sind Intarsien anzutreffen.

Formen

Musikform in der traditionellen Spielweise

Alfred Leonz Gassmann zeigt in seinen Aufzeichnungen, dass die Musikform einst sehr „frei“ war. Taktwechsel waren häufig. Die Taktfolge waren meist nicht im Quartil. Es war durchaus möglich, dass eine Sequenz (ein Teil) eine ungerade Taktzahl, also zum Beispiel 5, 7 oder 11 Takte, aufwies.

Die Musikform hat sich in den letzten Jahrzehnten eher standardisiert. Die häufigste Form ist die Form A – B – C. Diese Form kann durch ein Intro (Eingangstakte) eröffnet werden und/oder durch einen Ausklang abgerundet werden. Häufig sind auch Weiderholungen (Da Capo) anzutreffen, also A – B – C – A. Man kann aber auch Kompositionen antreffen, bei denen der Übergang vom einen zum nächsten Teil mit Zwischentakten (Übergangstakten) gestaltet wird.

Mein nachfolgendes Beispiel zeigt folgende Form: Intro (4 Eröffnungstakte im 3/4-Takt) – A (Bei Ziffer 1 das erste Motiv mit 8 Takten fortfolgend im 3/4-Takt) – B (Bei Ziffer 2 das zweite Motiv mit 8 Takten mit Wechsel zum 4/4 Takt) – C (Bei Ziffer 3 das dritte Motiv mit 8 Takten und mit Wiederholung im 6/8-Takt) – Ausklang (analog zum Intro im 3/4 Takt).

Klang

Beim Klang unterscheide ich zwischen der Klangfarbe und dem Klangkörper. Als Klangfarbe kann der Charakter des Naturinstrumentes per se und die Tonqualität des einzelnen Bläsers oder der Bläserinnen und Bläser bezeichnet werden. Der Klangkörper umschliesst die Intonation, die Lautstärke, die Präzision aber auch die Agogik und die besonderen Effekte.

In der freien Natur klingen technisch einfache Kompositionen ebenso faszinierend wie technische Bravourstücke in Verbindung mit einer Jazzband. Das Alphorn stellt bezüglich Intonation hohe Ansprüche. Gute Alphorngruppen zeichnen sich deshalb auch durch ihre Präzision aus. Präzision bedeutet eine perfekte Intonation, die rhythmische Einheitlichkeit und ein perfekter Klangausgleich. Der gewünschte „Sound“ wird im mehrstimmigen Spiel in erster Linie durch die Intonation und den Klangausgleich erreicht.

Komponisten

Alfred Leonz Gassmann

A. L. Gassmann lebte von 1876 bis 1962. Die wirkungsvollste Zeit lebte er im Zurzibiet (Region Bad Zurzach). Ich bezeichne ihn als bedeutungsvollsten Volksmusiker in der Schweizer Volksmusikgeschichte. Er war ein begnadeter, umfassender Musiker: Dirigent, Komponist, Pädagoge, Musiker und Volksliedsammler. Er war in den Sparten Blasmusik, Alphorn und Jodeln gleichermassen aktiv.

Seine Alphornkompositionen aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts sind erstaunlich vielfältig.  Er hat alle musikalischen Gestaltungselemente in seine Kompositionen eingebaut. Zweifellost war er der damaligen Zeit voraus. Die musikalischen Möglichkeiten des Alphorns schöpfte er aus. Das mehrstimmige Spiel lancierte er ebenfalls.

Hans-Jörg Sommer

Der Musiker prägte die Alphornszene in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten. Seine Kompositionen sind vielfältig, auch bezüglich der Stilrichtungen. In den letzten Jahren ist bei ihm ein starker Bezug zur traditionellen Alphornmusik gewachsen. Seine Werke werden an jedem Alphorntreffen oder Wettkampf gespielt. Sein Schaffen für gepflegte Alphornmusik ist unermesslich.

Das untenstehende Bild zeigt Hans-Jörg Sommer am Eidg. Jodlerfest in Brig. Sehr typisch für den geschätzten Musiker: Er sucht den Kontakt zu den Alphornbläserinnen und Alphornbläser. Er geniesst die Stimmung der Volksmusik und ist Teil der Volksfeste. Für nähere Angaben verweise ich gerne auf www.alphornmusik.ch.

Länge des Alphorns

C                ca. 2.45 m
B                2.75 m
Gis/As        3.09 m
G                3.27 m
Fis/Ges      3.47 m
F                3.68 m

In der Schweiz wird am häufigsten und standardmässig das Fis-/Ges-Alphorn gespielt.

Naturtonreihe – Tonumfang – Die 12 Töne des Alphorns

Das Alphorn spielt die „perfekte“ Naturtonreihe. Der Tonumfang eines guten Alphornbläser reicht vom „Bass-C“ bis zum hohen „a“.

1. Tonlinie: Nachfolgend ist auf der ersten Linie die C-Dur-Tonleiter abgebildet. Pro Oktave hat es also zwei Halbtonschritte: von „e“ auf „f“ und von „h“ auf „c“. Wären alle Töne dargestellt, so wären die weiteren Halbtöne auch aufgezeichnet. In diesem Falle würde man von der chromatischen Tonleiter sprechen.

2. Tonlinie: Das Alphorn spielt die „perfekte“ Naturtonreihe. Der Tonumfang eines guten Alphornbläsers reicht vom „Bass-C“ (Ton 1 = T1) bis zum hohen „a“ (Ton 12 = T12).

3. Tonlinie: Mit dem Waldhorn (Fürst Pless) der Jäger werden üblicherweise nur 5 Töne gespielt. Beim Spielen dieser fünf Töne kommt der allgemein bekannte Klang der Jagdhornbläser sofort zum Vorschein.

Das Alphorn zeichnet nebst der „natürlichen“ Einschränkung der Anzahl Töne auf 12 Töne insbesondere durch 2 ganz besondere Töne aus: Einerseits durch das „b“, welches genau zwischen dem „g“ und dem c“ liegt und anderseits durch das „Alphorn-Fa“, welches genau zwischen dem „e“ und dem „g“ liegt.  Beide Töne versprühen dem Alphorn an der „richtigen“ Stelle in einer Komposition einen ganz besonderen Reiz.

Schofar (Shofar)

Ich bin in Lengnau AG aufgewachsen und wohne in Lengnau. Lengnau gehört zusammen mit Endingen zu jenen beiden Dörfern in der Schweiz, die durch ihre jüdische Geschichte seit dem 17. Jahrhundert geprägt sind. Noch heute steht in den beiden Dörfern je eine Synagoge. Die Alters- und Pflegeheim Margoa in Lengnau wird unverändert in den jüdischen Traditionen geführt. Die jüdische Friedhof zwischen den beiden Gemeinden geniesst schweizweit, ja sogar über die Landesgrenzen, ein besonderes Interesse. In jüngster Zeit erfährt die jüdische Kultur eine wachsende Aufmerksamkeit: Ein jüdischer Kulturweg informiert die Besucher über die jüdische Geschichte, insbesondere über die Bauten. Regelmässig finden öffentliche und private Führungen statt und durch ein Projekt „Doppeltür“ lanciert ein im 2019 gegründeter Verein die Umsetzung eines multireligiösen Zentrums.

In meinen jungen Jahren hörte ich in der Synagoge einmal ein Horn klingen. Es klang wie ein Kuhhorn oder ähnlich. Was hat ein Kuhhorn in einer Synagoge zu suchen? Als junger Trompeter fragte ich mich damals, ob sich die Juden denn keine Trompeten leisten könnten. Viele Jahre verstrichen. Während meines Blasmusikstudiums stiess ich bei der Behandlung der Naturtonreihe auf das Schofar oder auf den Schofar (englisch Shofar). Da gingen mir die Augen auf. Beim Schofar handelt es sich um ein im jüdischen Ritual geblasenes Tierhorn. Es muss zwingend von einem koscheren Tier stammen, traditionell von einem Widder. Das Widderhorn wird als kultisch gebrauchtes, posaunenähnliches Instrument in der Synagoge eingesetzt. Die Spielarten bzw. die Länge der geblasenen Töne verkörpern eine Aussage. Ich habe später ein Schofar in die Hand zum Blasen bekommen. Da war ich doch überrascht, dass für einen gefälligen Urklang das Blasen eines Widderhorn gar nicht so einfach ist. Für vertieftes Wissen verweise ich gerne auf WIKIPEDIA.

In der geschichtlichen Würdigung des Alphorns ist häufig festgehalten, dass das Alphorn vor Jahrhunderten auch als Rufhorn genutzt wurde. Dies vorwiegend in der Schweiz. Persönlich bezweifle ich diese Feststellung. Nicht zuletzt auch deshalb, weil nirgends Signale und Rufformen für Alphorn aufgeschrieben sind. Eine „Sprachregelung“, wie es zum Beispiel die Jäger seit Urzeiten kennen, gab bzw. gibt es bei den Alphornbläsern nicht. Sehr wohl kann man aus heutiger Optik argumentieren, dass eventuell vorhanden gewesene standardisierte Rufklänge mit der Dezimierung des Alphorns im vorletzten Jahrhundert verloren gegangen sind. Aber wenn dies in den Schweizer Bergen so gewesen wäre, hätten sich bestimmt ein paar wenige Signale in der Schweiz behaupten müssen. Die Zahl der Alphornbläser in der Schweiz dürfte in den früheren Jahrhunderten stets klein gewesen sein. Sie waren sich wohl auch distanzmässig weit auseinander. Es dürfte eher zufällig gewesen sein, wenn sich zwei Alphornbläser über das Tal standardisierte Signale zuspielten. Das Alphorn war nach meiner Einschätzung nie ein Signalhorn.

Swiss-Lady

Der Schweizer Musiker Pepe Lienhard verschaffte 1976 dem Alphorn einen gewaltigen Auftrieb. Mit seinem Sextett baute er das Alphorn in den gleichnamigen Schlager ein. Er bezeichnete sein Stück „Swiss-Lady“ und meinte mit diesem Namen das Alphorn. Mit diesem Stück nahm er auch am European Song Contest 1977 teil und erreichte damit den 6. Platz. Es war eine Initialzündung. Insbesondere die Spielweise mit dem doppelten Zungenschlag verblüffte und fand sofort Nachahmer. Doch die traditionelle Spielweise vom Alphorn wurde damit in der Schweiz auf den Kopf gestellt. Noch heute gilt bei den Traditionisten der Doppelschlag als verpöhnt.

Geschichte

Die Geschichte des Alphorns kann nicht mit letzter Gewissheit nachvollzogen werden. Die Historiker sind sich nicht vollkommen einig.

Gemäss Wikipedia geht die erste bekannte schriftliche Erwähnung des Alphorns in der Schweiz auf das Jahr 1527 zurück. In einem Rechnungsbuch des Klosters St. Urban besteht ein Eintrag, der über „zwei Batzen an einen Walliser mit Alphorn“ berichtet. Das Alphorn soll neben einem Rufinstrument auch ein Blasinstrument der Bettler gewesen sein. Das Alphorn geriet als Bettelhorn in Verruf und wurde gar verspottet.

Erstmals soll das Alphorn in der Schweiz Mitte des 16. Jahrhundert von Conrad Gesner (auch Konrad Gessner) dokumentiert worden sein. Er war Arzt und Naturgelehrter in Zürich. Dabei befasste er sich auch mit den Alpen. Mit diesem Bezug stiess er auch auf das Alphorn in der Schweiz.

Mit absoluter Selbstverständlichkeit wird stets geschrieben, dass das Alphorn ein Instrument der Bauern und Weidehirten gewesen sei. Mit dem regelmässigen Blasen (insbesondere am Morgen oder am Abend) seien die Kühe zum Melken gerufen worden. Daher auch der Ausdruck Ruf oder Ruf-Instrument. Bekanntlich halten sich die Weidetiere (vor allem auf den Alpweiden) verstreut auf. Mit dem Ertönen des Alphorns begaben sich die Tiere zum Stall zurück. Es stellte sich für mich die Frage, ob dies tatsächlich möglich ist, dass das Weidevieh auf ein solches Signal reagiert oder ob diese Interpretation eine verklärtes Bild verkörpert. Etliche Landwirte bestätigten mir, dass bei einem regelmässigen Alphorneinsatz die Weidetiere auf das Signal durchaus reagieren können und gar aufgrund ihrer „inneren Uhr“ auf das Signal warten würden. Ich machte Beobachtungen, die mir die Wirkung plausibel bestätigen: Wenn zur Abend-und Melkzeit der Landwirt auf die Weide schreitet, erkennen ihn viele Tiere. Sie rennen ihm gleich entgegen. Die ganze Herde findet sich zusammen. Als geschlossene Gruppe folgen sie dem Bauern in den Stall. Dazu braucht es keinen Weidehund, wie dieser oft bei den wandernden Schafherden eingesetzt wird. So ist es für mich absolut glaubhaft, dass der Alphornklang des Hirten seine Herde zusammenruft. Dazu passt ein Hinterglasbild aus dem Emmental aus dem Jahre 1595, wonach angeblich die Kühe während des Melkens beruhigt wurden.

Ob das Alphorn auch ein Kommunikationsmittel zwischen den Sennen und deren Talbevölkerung war, lässt sich nicht bestätigen. Aus der Überlieferung sind keine Rufsignale festgehalten. Hätte es feste Signale gegeben, wie es die Jäger seit Jahrhunderten kennen, wären diese in irgendeiner Form überliefert worden. Ich hege grosse Zweifel an den Überlieferungen, dass das Alphorn jemals als Signalhorn eingesetzt wurde. Die schöngeistigen Vorstellungen für das akustische Überbringen von Nachrichten ist erst vor gut hundert Jahren aufgetaucht.

Dass das Alphorn in der breiten Gesellschaft einen anerkannten Stellenwert genoss, belegt das Deckenbild in der Stiftskirche des Klosters Einsiedeln (Kanton Schwyz). Die Kirche wurde im 18. Jahrhundert (neu) gebaut. Das Deckenbild zeigt einen Hirten mit einem Alphorn.

Dass das Alphorn schon immer Emotionen weckte, ist klar. Das Alphornblasen kommt am späten Sommerabend einem Gebet gleich. Die getragenen Töne strömen Dankbarkeit und Zufriedenheit aus. Der Zuhörer muss innehalten. Das Tageswerk ist vollbracht. In den katholischen Kantonen der Innerschweiz hat sich das „Gebet“ als „Betruf“ eingeprägt und in den reformierten Kantonen als „Abendgebet“. Da die Bläser kaum Noten aufschrieben, kam die Stärke des Alphorns ganz besonders passend zum Ausdruck. Die Gefühlslage des Bläsers bestimmte die Spielweise. Die Stücke hatten weder eine feste Form, noch eine Metrik und auch keine vorgegebene Länge. Der Bläser drückt sein Empfinden und seine Gefühlslage mit seinen vorhandenen musikalischen Fertigkeiten aus.

Im Umfeld der technischen Weiterentwicklung der Musikinstrumente im 18. und 19. Jahrhundert ist es nicht verwunderlich, dass das Alphorn nach und nach an Attraktivität verlor und zunehmend in Vergessenheit geriet. Im temperierten Tonsystem setzte sich damals die chromatische Tonleiter durch. Da konnte das Alphorn nicht mehr mithalten. Das etwas zu hohe b oder das Alphorn-Fa passte nicht in die Zeit der Industrialisierung und des technischen Fortschrittes.

Doch der Tourismus erkannte den Folklorewert. Der Berner Schultheiss Niklaus von Mülinen liess in den 1820-er Jahren Alphörner bauen und suchte begabte Bläser in Grindelwald. Für den Tourismus war das Alphorn ein passendes Werbemittel. Von nun an beginnt das Alphorn zu „blühen“. Das Alphorn wird zum Musikinstrument. Diese Weiterentwicklung war für die damalige Zukunft des Alphorns wichtig. Aber selbstverständlich passte die äussere Erscheinung des Instrumentes in das damalige Marketing. Es gelang, das Alphorn als Markenzeichen der Schweiz zu formen. Zusammen mit dem Käse, der Schokolade und dem Edelweiss gehört das Alphorn heute zu den Schweizer Nationalsymbolen.

Die Alphornmusik brach seit etwa 1975 zu neuen Ufern auf, bewahrte aber die traditionellen Charakteristiken. Ob getragene tiefklingende Alphornweisen oder rockig gespielte Klänge, am richtigen Ort gut gespielt, fasziniert jede Stilrichtung. Seit nunmehr fünfzig Jahren ist das Alphorn zu einer musikalischen Herausforderung gewachsen. Selbst professionelle Blechbläser haben die gestalterischen Möglichkeiten des Alphorns erkannt und setzen sich mit diesem Naturinstrument auseinander.

Die Alphornbläserinnen und Alphornbläser messen sich. An den Jodlerfesten finden Wettkämpfe statt. Jeder Vortrag wird klassiert. Die Klassierungsnote 1 bedeutet „sehr gut“, die Klassierung 2 „gut“, die Note 3 heisst „genügend“ und die Klassierungsnote 4 bedeutet „ungenügend“. Die Wettkämpfe haben zu einer Standardisierung der Vorträge geführt. So werden zum Beispiel minimale Spiellängen vorgegeben. Dies hat wiederum dazu geführt, dass die vorgetragenen Musikstücke fast einheitliche Formen (s. „Formen“) aufweisen. Die Komponisten werden damit in ein Formenschema gezwungen. Mit dem mehrstimmigen Spiel wird dies noch verstärkt. Der Formenzwang mag aber seine Berechtigung durchaus haben. Er zeigt aber, dass die liberale Formenvielfalt, wie es noch Alfred Leonz Gassmann in all seinen Kompositionen ausdrückte, zunehmend verloren geht.